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BARCELONA DIARIES UND WIE ICH ELYSIUM FAND



Der Lärm der Rambla de Catalunya dringt nur gedämpft nach oben, hier, in den vierten Stock, in die Kühle und Weite der wunderschönen Altbauwohnung, die uns eine Freundin für einige Wochen überlassen hat. Ich komme mir ein bisschen vor wie in der Netflix-Serie Altered Carbon. In der Serie gibt es Elysium – hoch oben im Himmel wohnt es sich luxuriös und ruhig, unten auf der Erde herrscht Sodom und Gomorrha.



In Barcelona habe ich ein Elysium. Der Lärm, die Menschenmengen, die handtellergroßen Kakerlaken, die nachts auch über die Gehwege flitzen, die Ratten am Plaça de Catalunya, die nachts zu sehen und im Rascheln der Gebüsche zu hören sind, das beständige nonstop Hupen und Rauschen des Verkehrs – all das liegt 40m unter mir.


Ich bin noch nicht warm geworden mit Barcelona.

Vielleicht liegt es daran, dass ich dafür sorgen muss, dass Elmo Pipi machen kann, ohne sich die Pfoten auf dem glühend heißen Asphalt zu verbrennen. Rasenplätze sucht man hier vergeblich, dafür ist man mitten im Schmelztiegel der Party- und Einkaufsgesellschaft, im wortwörtlichen Sinne: Tagsüber ist es auf Grund der flirrenden Hitze kaum möglich rauszugehen.


GRANDPA-CITY

Es ist der krasse Kontrast zu den Tagen zuvor die wir notgedrungen in Mont de Marsan verbracht haben und zu Biarritz, das wir jetzt scherzhaft Grandpa-City nennen. Oder etwas netter: Die elegante Grande Dame, die mit Ruhe und Grandezza über den brachialen Wellen des atlantischen Ozeans thront.


ZU VIEL?

Der Wechsel von beschaulich zu turbulent ist wie eine Analogie meines Jahres 2022. War 2021 ein smoother Flow, ein Kinderspiel der Leichtigkeit und des Glücks, befinde ich mich 2022 im Schleudergang einer Waschmaschine. Ich sehne mich nach Ruhe und Pause, aber das Leben sieht derzeit keine Pause für mich vor.


VERTRAUEN Besonders durchgeschüttelt hatte es mich letzte Woche. Nach dem Buch schreiben, arbeiten für zwei Unternehmen, die PR und für House of Grace, eine niederschmetternde Diagnose für meine

Mama, medizinisch indizierten Hormongaben für mich und drei kleinen chirurgische Eingriffen, die mich emotional und körperlich destabilisierten – nach all dem freute ich mich auf 14 Tage Endspannung und frei haben. Das Leben sah es anders vor. Am Vorabend unserer Abreise war klar: Elmo geht es gar nicht gut. Der Nottierarzt in Biarritz, berechnete allerdings nicht nur 300 Euro - sondern stellte auch eine lebensgefährdende Fehl-Diagnose.


ELMO STIRBT

Elmo litt an einem akuten Nierenversagen, was die Not-Tierärztin jedoch nicht erkannte. Stattdessen gab sie ihm Opium wg der Schmerzen, was den Zustand noch verschlimmerte. Mit einem Hund, der mehr am Rande der Regenbrücke als in Living Land war, mussten wir die Wohnung räumen; doch nach Barcelona zu fahren war nicht möglich mit der todkranken Maus. Wir fanden Unterschlupf bei Arnauds Vater in Mont de Marsan, wo mir die Tierklinik sagte: „Ihr Hund wird sterben, wenn wir ihn nicht sofort an die Maschinen anschließen. Er muss für mehrere Tage in der Klinik bleiben.“ Was ist in diesem Falle die beste Entscheidung? Ich entschied mich heulend dagegen. Warum? Elmo ist 15 Jahre alt. Das schlimmste, was ihm passieren kann, ist von mir getrennt zu sein.



LEBENSENTSCHEIDUNG?

Ich entschied mich gegen Leben um jeden Preis und für eine Zeit, die geprägt von Nähe und Liebe ist. Ich habe gerungen, aber mir letztendlich vertraut und eine alternative, von mir erdachte Therapie entschieden, die die Ärztin bereit war umzusetzen. Und trotz 25% Chance, die man Elmo gegeben hat: Er lebt. Für mich war dies erneut ein Learning mir selbst zu vertrauen, aber auch Entscheidungen nicht im Affekt zu treffen. Zu überlegen, Standpunkte einzunehmen und nach innen zu horchen, nicht die Angst übernehmen zu lassen. Und ich habe wieder einmal bestätigt bekommen, dass es Entscheidungen und Wahrheiten gibt, die man im inneren treffen muss, mit etwas, das weit mehr ist als der Verstand. Es sind die Entscheidungen, die kein Dafür oder dagegen im inneren Dialog erzeugen, sondern nur: Stille und Klarheit.


TAGE IN MONT DE MARSAN


Die Tage in denen wir um Elmos Leben kämpften, fühlte ich mich wie in einer Zeitkapsel. Klinik, Garten, Elmo Flüssigkeit und Brei einflössen, Klinik, Garten, Flüssigkeit und Brei. Ich war zu nichts anderem in der Lage. Ich verbrachte die Tage neben Elmo liegend, in die Bäume des stillen Garten guckend und dem Rauschen des Bambus lauschend. Es war egal, dass Mücken mich so zerstachen, dass ich aussah, als würde ich an einer ansteckenden Hautkrankheit leiden, es war egal, dass ich eigentlich posten muss, um meine Angebote zu bewerben, alles war egal. Wichtig war nur die Stille, die Bäume, der Bambus und der Herzschlag des 2,7kg schweren Hundes neben mir, der so tapfer kämpfte, bis er zum Schluss vor Schmerzen schrie, wenn er die Spritze mit NaCL beim Tierarzt bekam.


BÄUME UND KRAFT

Etwas zerreißt in dir, wenn ein Lebewesen so sehr leidet und so stoppte ich auch diese Behandlung, verabreichte ihm aber jede Stunde Brei, Elektrolyte, Vitamine, Wasser, die erst brav nahm, aber am Ende auch nicht mehr konnte. Ich konnte es ihm so nachempfinden: Auch ich musste mich selbst dieses Jahr wochenlang aus medizinischen Gründen spritzen und am Ende war ich schon am Ende, wenn ich die Spritze nur sah. Die Ruhe, die Beständigkeit, der Notstopp halfen: Elmo genas langsam, jeden Tag mehr und mehr. Und genauso wie Elmo wieder zur Ruhe fand, fand ich wieder mehr Kraft. ich konnte nach vier Tagen Bäume gucken, wieder ein Buch in die Hand nehmen, fand wieder einmal Ruhe auf der Yogamatte, in der Meditation, in dem Zuschauen, wie sich das Wasser im Pool vor mir kräuselt und vereinzelt Blätter drauf treiben.


WANTED: MY CONNECTION

Für mich habe ich gelernt, dass mir etwas in den letzten Monaten gefehlt hat: Meine Verbindung, meine Spiritualität, die im inneren Lärm der Lebensaufgaben für die erste Hälfte des Jahres untergegangen sind. Um mich herum und in mir musste es wieder ganz still werden, um mit dem Herzen zuzuhören, dass ich verbunden bin, dass in der Textur des Lebens ich ein Partikel im Strom bin, das gefühlt gerade dabei ist eine neue Form zu finden.


WAS JETZT PASSIERT...

Also lasse ich es zu. Den Lärm und die Kakerlaken von Barcelona. Die Stille in Mont de Marsan. Und konzentriere mich Tag für Tag wieder darauf, die Ruhe in mir zu entdecken, die Weite, das unendliche Potenzial für Möglichkeiten. Ich öffne mich für neue Träume und löse mich von Erwartungen. Ich bin bereit zu erleben, dass mein Leben auf eine andere Weise neu beginnt. Ich bin noch nicht da. Aber ich kann fühlen, dass es auf mich wartet.


Ich bin bereit.

Hier.

In einem Elysium, das in mir ist.




BARCELONA, 11. JULI 2022



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